Ein Austausch in Form von Frage und Antwort zwischen Eva Hubich und Paul F. Millet.
Die Fragen stellt EH, die Antworten gibt
PFM.
Wien, Karlsruhe 30. Oktober 2022

EH: Stellen wir uns vor: ein wilder Garten. Würdest du ihn von Hand und mit Hilfe von Werkzeugen versuchen zu bändigen und zähmen oder ihn der Natur überlassen?

PFM: In meiner Geburtsstadt Paris bin ich mit einer traditionellen französischen Gartenkultur aufgewachsen. Französische Gärten sind in ihrer Form und Sprache geometrisch angelegt, bieten aber trotz strikt arrangierter Beete und Hecken auch Raum für die wilde Natur. Ich denke, wenn man einen Garten hat muss man das Gleichgewicht zwischen der wilden Herrschaft der Natur und der Beherrschung eben dieser durch die menschliche Hand finden. Für mich ist genau die Mitte dieses Kontinuums am interessantesten. Genau zwischen Kontrolle und Loslassen entstehen meine Arbeiten. Ich lasse den Garten gedeihen, möchte aber auch manipulativ nach einer intensiven Beobachtung und formellen Recherche in das Wachstum eingreifen.
Meinen Arbeitsprozess in der Bildhauerei betrachte ich ähnlich zu der beschriebenen Pflege des Gartens. In meinem Atelier werde ich zum Energiegeber, Sortierer und Bändiger für die Objekte und Materialien. Ich begegne ihnen zyklisch immer wieder, ändere etwas ab, beschneide, kreuze und binde sie neu.

EH: Zu Beginn deiner künstlerischen Ausbildung, die in der Metall-Bildhauerei begann, widmetest du dich hauptsächlich dem Rohstoff Metall. Mittlerweile bedienst du dich einer Bandweite von Werkstoffen, um deine eigene Sprache zu verfeinern. War es mehr der Anblick oder die Sprache dieser verschiedensten Materialien, die dich in diesem Prozess geleitet haben? Welches Gefühl verspürtest du dabei?

PFM: Mich reizte seine Bandbreite an Facetten in Form und Bearbeitungsmöglichkeiten. Man kann Metall von fester in flüssige Form verwandeln und durch Abformungstechniken in die gewünschte Gestalt bringen. Voraussetzung dafür ist der Einsatz körperlicher Kraft und eine Art strategischer Kampf gegen das Material, das seine ganz eigene Resistenz und Strenge besitzt.

So tief in die Kunst der Metallverarbeitung einzusteigen und es in all seinen Qualitäten zu erforschen ebnete den Weg, um mir neue Materialien anzueignen; tief in deren individuelle Beschaffenheiten und Qualitäten einzusteigen. Ich fing an, mit Wachs, Gips, Holz und Fundobjekten sowie Mineralien zu arbeiten.

Die Rohstoffe Stein und Holz verhalten sich ähnlich wie Metall, jedoch ist der Bearbeitungsprozess ein ganz anderer, denn man befreit die Skulptur aus einem Block. Materie wird subtrahiert und nicht addiert, um einen größeren Gegenstand zu erschaffen. Besonders Fundobjekte bringen eine Offenheit und Großzügigkeit mit sich, aus der ich schöpfen kann.

Für mich hat jeder Rohstoff seine eigene Symbolik und materielle Konnotation, die ich gezielt entscheide zu nutzen. Füge ich verschiedene Komponenten zusammen betrachte ich diese als getrennte Narrative, die parallel in einem Raum funktionieren.

EH: Poesie der Materialien!

PFM: Ja, ganz richtig. Nehmen wir zum Beispiel eine Holzstange, eine Metallplatte und einen Gipsklotz. Alle drei haben eine völlig unterschiedliche Konnotation, die dem Material implizit ist. Ein völlig anderes Narrativ als wenn sie alle aus Metall wären, jedes dieser
Materialien hat seine eigene Wesentlichkeit und Expressivität. Ich verwebe die Geschichten der Materie mit Geschichten des Lebens, um aus ihnen komplexe Gegenstände zu formen.

EH: In deiner letzten Ausstellung „les yeux collés“ (die verklebten Augen) in Paris hinterfragst du die Wahrnehmung von Bildern auf unserer Netzhaut, sowie unsere Nutzung des Sehvermögens in einem Raum. Das Bild der Spirale taucht hier vermehrt auf. Inwiefern wird es zum zentralen Symbol der Ausstellung? Und inwiefern werden Eigenschaften der Spirale zu Eigenschaften des Raums?

PFM: Im Sommer verbrachte ich einige Zeit am Meer. Ich stieß dort auf die Seeschnecken und fing an, diese obsessiv zu sammeln. Ich unternahm den Versuch, dieses Objekt in Form, Architektur und Sprache zu verstehen. In meiner Ausstellung war es mir wichtig, diese komplexe Form mit allen Sinnen erlebbar und über die Körpererfahrung verstehbar zu machen. Ich wollte zu einer Auseinandersetzung oder Überlegung anregen. Was sind wir Menschen in der Natur? In der Ausstellung sollten verschiedene Beziehungsmodelle erfahren werden können. Von Symbiose über Distanzierung.
In meiner Ausstellung Les yeux collés (2022) konnten die Besucher und Besucherinnen die Form der Spirale ablaufen; erleben, wie die Wände näherkommen, der Gang immer schmaler wird. Der Gang hypnotisiert und begrenzt die eigene Physis und ihre Bewegungsfreiheit. Am Ende ein Stock Les yeux collés, bâton de cécité (2022)die Augen verklebt, der Stab der Blindheit. Auf ihm sind die Seeschnecken zu ertasten, die sich am Ast festgeklebt haben. Tast- und Orientierungssinn wurden aktiviert. Ein schräger, seitlicher Blick und wir erhaschen eine Spiegelung der Arbeit Les yeux collés, Narcisse endormi- Die Augen verklebt, Narziss schlafend an der Wand. Eine Spirale aus Seeschnecken geformt auf einer runden verspiegelten Platte am Boden.Sie ist Wegweiser aus dem Pavillon, in welcher wir uns gerade befinden. Eine Reflexion an der Wand vollzieht den Auf- und Untergang der Sonne nach. Das Klacken des Motors der Spiegelplatte tickt im gleichmäßigen Rhythmus, wie das metronomisierte Anspülen der Seeschnecken am Strandufer.

EH: In einem Schlüsseltext von Paul Valéry, einem fiktiven Dialog zwischen Sokrates und Phaidros, wird die Seeschnecke als Symbol der „vollkommensten Verkörperung der Naturgesetzte“ eingeführt.

PFM: Ja, wenn man mal überlegt war die Form der Spirale schon weit vor der Menschheit dar. Der Mensch machte daraus seine ganz eigene Synthese von mathematischen Ordnungsprinzipien und konstruierter Natur. Sie wird der Architektur oder der Kunst angepasst. Dabei finde ich spannend, dass die aus der Natur entnommene Form vom Menschen wieder in die Natur gesetzt wird, wie zum Beispiel in Form einer Kapelle von Le Corbusier in Ronchamp.

EH: Was sind deine Erwartungen gegenüber einem Fundobjekt? Wie trittst du diesen Gegenständen entgegen, die dann schlussendlich in deiner Arbeit auftauchen?

PFM: Die Begegnung mit einem Fundobjekt, ist jedes Mal eine Überraschung, sei es wenn ich ihm über den Weg laufe oder bewusst nach ihm suche. Oft lagere ich die gefundenen Objekte in meiner Sammlung im Atelier. Der Prozess des Kennenlernens kann von langer oder kurzer Dauer sein, je nachdem ob ich für das gefundene Objekt direkt eine Verwendung kenne. Meine Sammlung setzt sich aus organischen Materien und Mineralien, technischen Objekten oder selbstgebauten Gegenständen zusammen. Die meisten meiner Fundobjekte sind organisch, die dem Zerfall obliegen, sie verrotten oder lösen sich auf. Um den Prozess des Vergehens anzuhalten konserviere ich die Objekte, indem ich Aluminiumabgüsse von ihnen mache oder sie wie in meiner Arbeit Brûlot (2022) Heuballen mit Paraffin (künstlichem Wachs) begieße. Das Auswählen und Sammeln von Fundobjekten bringt mich aus dem Prozess der Produktion heraus. Ich löse mich aus Bekanntem und lasse mich neu ein. Es findet durch das Übergangsobjekt eine kurzfristige Objektivierung meiner Arbeit statt, die neuen Raum öffnet für Reflexion und Innovation. Vom Moment des Aufsammelns des Objektes bis hin zum Moment des Aussortierens und dem finalen Schaffen eines Werkes findet ein Prozess des Kennenlernens, der Aufbau einer Objektbeziehung statt. Wenn ich aber ein Objekt selbst kreiere ist diese Verbindung direkt da.

EH: Inwiefern siehst du die Aluminiumabgüsse als Objekte, die zu einer eigenen Dynamik oder zu einer Situation werden? Denn diese „Doppelungen“ weisen eine andere/fremde Materialität als die Ursprüngliche auf.

PFM: Durch das Gießen in flüssigem Aluminium geht die gesamte ursprüngliche organische Substanz des Objekts verloren, sie geht im wahrsten Sinne in Flammen auf. Was also bleibt ist bloß die Erinnerung an die Form und die Materialität, aber nicht das Objekt selbst. Meine Schöpfungen haben dadurch eine ganz andere Dynamik, weil sie nicht mehr Ursprung vom Objekt sind. In meiner Arbeit Branches Liquides (2022) ordnete ich Aluminiumabgüsse von Ästen in einem Kessel an. Die Abformungen dieser Äste haben ihre Identität verloren, sie sind für mich zu einem neuen Objekt geworden, welches ich nun als ein Artifizielles beschreiben würde. Gleichzeitig sind diese Objekte Sinnbilder für das Prinzip der Transformation, der immerwährenden Möglichkeit zur Veränderung.

EH: In deiner Arbeit Wind protected zone (2022) ist die Wand als ein raumerweiterndes Element zu verstehen. Die Wand, die du zeigst, weist Spuren der Benutzung und Wandschichtungen auf. Gegenstände werden unter Gipslagen in die Wand hineingearbeitet. Sie bleibt stets von beiden Seiten antastbar, sie begrenzt nicht den Raum sondern erweitert diesen. Inwiefern erweitert sie für dich den Raum, auf den du dich beziehst? Oder kann die Wandarbeit für dich auch zu einem Damm oder einer Barriere werden?

PFM: In meiner letzten Ausstellung „Blaupause“ im Offspace „wieoftnoch“ in Karlsruhe arbeitete ich mit der Videokünstlerin Swinda Oelke zusammen. Es entstand eine Raumsituation, in welcher Videomaterial auf einer von mir geschaffenen Wandebene gezeigt wurde. Die vorgefundene Raumsituation wurde durch dieses neue Element gestört aber gleichzeitig auch erweitert, denn so konnte ein vollkommen neuer Raum entstehen. Ich platzierte eine rund geschwungene Wand in eine der Raumecken, mit einem Abstand von etwa einem Meter zur Außenwand. Aus vier Raumecken wurden drei. Die gleichmäßige Raumgeometrie wurde gestört. Eine Pause im Raum, eine Unterbrechung der Ordnung. In kreisenden Bewegungen schwingt das Videomaterial in einem sich kreisenden Windrad über die neuen und auch über die alten Wände im Raum. Der Zwischenraum zwischen neuer und vorgefundener Wand bietet Schutz vor Wind und Blicken: „Wind protected zone“. Auf der Wand zeigen sich Spuren der Bearbeitung, man sieht wie ich mit den Händen den Gips auf der Jute verputzt habe. Ganz im Gegensatz zu dem perfekt und bis ins kleinste technische Detail ausgeformten Beamer vor ihr. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld zwischen den beiden Objekten. Und wie bereits gesagt bin ich genau daran interessiert.

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